Kein Vater sollte sein Kind zu Grabe tragen müssen...
Herr der Ringe: Drittes Buch, Sechstes Kapitel: Der König der Goldenen Halle
Dieser Satz aus Herr der Ringe geht mir nicht mehr aus dem Kopf, denn genau so empfinde ich. Ich musste meinen Sohn beerdigen, Loris, mein Sohn ist in meinen Armen gestorben. Während ich spürte, wie alles Leben aus seinem kleinen Körper weicht, wie Loris Herz ganz langsam aufhört zu schlagen habe ich Loris vorgesungen, habe Loris festgehalten, wollte Loris in seinen letzten Minuten zeigen, spüren lassen, dass er nicht alleine ist, was sollte ich auch mehr tun.
Loris Kreuz habe ich selber gebaut, das war das Letze was ich noch für meinen Loris tun konnte. Die schrägen Buchstaben sollen ein Symbol für sein kurzes Leben sein. Es war ein auf und ab, ein hoffen und verzweifeln, das Bunte soll für die zwar kurzen aber doch immer wieder schönen Momente mit Loris stehen. Wenn ich das Gefühl hatte er sieht mich, wenn ich Loris waschen durfte oder Loris eine wirklich gute Nacht hatte.
In den schwersten Stunden hat mir das Gewichte stemmen im Gym, das Gebet, das Wissen um Judith und meine Kindern und das Schreiben sehr geholfen. Nun ist es ein Jahr her, dass Loris Herz aufgehört hat zu schlagen. Doch immer wieder, vor allem nachts, wenn ich nicht schlafen kann, spüre ich seinen kleinen Körper noch auf meiner Brust, spüre sein Herz schlagen und ich gebe mir der Illusion hin, dass ich nur noch einmal seine Hand halten kann, nur noch einmal mein Gesicht an seine Backe drücken kann.
Manchmal wünsche ich mir nichts anderes, als noch einmal in Tübingen auf der Intensivstation zu sein, noch einmal Loris Hand halten zu dürfen, nur noch einmal über seinen Kopf zu streichen und ihm ganz nahe zu sein. Dann ist alles rationale Denken dahin, dass es die richtige Entscheidung war Loris gehen zu lassen.
Eigentlich komme ich mit der Trauer ganz gut klar. Ich bin weder depressiv geworden, noch habe ich meine unbändige Lust, etwas Kreatives zu machen, verloren. Ich kann lachen, mich aufregen und genieße es, mit Freunden etwas zu machen. Doch immer wieder falle ich in ein tiefes Loch, da ist eine Traurigkeit in mir, die alles ausfüllt, die mich innehalten lässt, die es mir unmöglich macht, mich zu bewegen und es erfordert alle meine Willenskraft, nicht irgendwas kaputt zu machen, nicht mit irgendjemand eine sinnlose Schlägerei anzufangen, nicht einfach laut zu schreien oder mich irgendwo hinzulegen und nicht mehr aufzustehen.
Diese Endgültigkeit, diese unwiederbringliche, macht mich fertig, man kann nichts ändern, egal wie sehr ich mich anstrenge, wie sehr ich kämpfe, wünsche, hoffe, es wird alles nichts ändern, Loris ist nicht mehr hier und wird es auch nie wieder sein.
Ein Lied, das mich die letzten Monate sehr begleit, ist von einer Band, die ich schon lange höre, Artefuckt mit dem Titel “nicht für immer”.
Gemeinsam wollten wir leben,
Gemeinsam nach Glück gesucht.
Haben gelacht, geweint, gehofft, gebet, doch am Ende verflucht.
Es ist nicht einfach zu lieben,
Es ist nicht einfach zu sein.
Man macht, man tut und hofft auf das Gute.
Doch die Zeit holt uns ein.
Ref.
Und alles was jetzt noch zählt, ist alles was bleibt.
Wir haben uns verloren im Strudel der Zeit.
Wir gaben, wir glaubten, wollten glänzend strahlend sein.
Doch am Ende des Tages das Schicksal verriet,
es sollte nicht für immer sein.
Das ist unsere Geschichte mit Loris zusammengefasst. Gemeinsam wollten wir mit Loris leben, dann kam die Hoffnung, dass doch noch alles gut werden kann, die Klink in Schömberg war wie ein Hoffnungsschimmer und dann die Erkenntnis, nach einem erneuten Herzstillstand, nein, es wird nicht gut, nein, es gibt keine Hoffnung. Es sollte nicht für immer sein (auf dieser Erde). Wir müssen die Kraft haben, die Kraft finden unseren Loris gehen zu lassen. Wenn man wirklich liebt, dann kann man auch los lassen.
Im Refrain heißt es dann “alles, was jetzt noch zählt, ist alles, was bleibt”. Für mich ist das immer wieder eine große Hilfe, auf das zu schauen, was bleibt, auch ohne Loris, der Blick auf meine Familie ist das, was zählt, worauf ich aufbauen kann, was mir die Kraft gibt, nicht aufzugeben, weiterzugehen. Es hat eine weile gedauert und dauert noch an, kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn etwas schönes ist. Den Urlaub in Italien zu genießen, auch wenn eine Stimme im Hintergrund sagt: "das geht nur weil Loris nicht mehr lebt". Es ist ein Prozess, in dem wir als Familie stehen, der uns wie ich hoffe näher zusammen bringt.
Was mir aber die größte Stütze ist, ist das Wissen, das ich Loris einmal wiedersehen werde. Mir fehlt die Vorstellung, wie das sein wird, aber ich glaube an ein Leben nach dem Tod, an einen Gott, der gnädig ist und dass Jesus so lange mit Loris Hand in Hand geht, bis ich das wieder machen kann.
Es gibt mir Trost, wenn ich das Fotoalbum von Loris anschaue, an die viel zu kurze Zeit denke, die er hier bei uns war. Oft gehe ich nach dem Training noch auf den Friedhof, dann ist mein Körper heruntergefahren und ich bin bereit, mich auf diesen Besuch einzulassen. Es fällt mir nicht leicht auf den Friedhof zu gehen, es tut so unendlich weh, werde immer langsamer, je näher ich dem Grab komme. Setze mich auf den Boden, lasse die Stille, die Kerzen und oft die Glühwürmchen, die zu sehen sind, auf mich wirken, höre ganz tief in mich hinein, lasse den Schmerz zu, lasse die Fragen zu, die mich quälen. Durfte ich Loris sterben lassen? Nur ein Wort und die Ärzte hätten eingegriffen, habe ich richtig gehandelt bis der Krankenwagen da war, habe ich versagt als Vater? Diese Fragen sind mühselig, ich weiß sie bringen nichts, es wird nichts ändern, doch hier lasse ich diese Fragen zu, egal wie sinnlos sie sind. So sitze ich oft noch lange.
So sitze ich auf dem Boden im Dunkeln neben Loris Grab, versuche mich an das Wenige zu erinnern, versuche nichts zu vergessen, versuche jeden Eindruck, jedes Bild, jedes Gefühl in meinem Herz festzuhalten, wie es war, Loris zu waschen, zu wickeln, stundenlang vorzulesen oder diese wundervollen Stunden, wo ich Loris auf dem Arm haben durfte, in seine Augen zu schauen, an seinen Beinen zu fühlen, so dass sie nicht zu kalt werden und dann, wenn es Zeit war zu gehen, noch mit Loris zu beten. Hier auf dem Friedhof, alleine mit mir, mit meinen Gedanken, fühle ich mich nicht nur Loris, sondern auch meinem Gott, auf den ich hoffe, ganz nahe.
Die Liedzeilen auf farewell begleiten mich dann oft auf dem Heimweg.
Ich bin heut Nacht erwacht aus einem Traum.
Ein Traum, wie ich ihn vorher nie gekannt.
Und unter'm Lindenbaume dort in eben jenem Traum,
Hielt ich dich zartes Vöglein in der Hand.
Das Vöglein sah mich traurig an und fragte mich ganz leis,
"Wozu hab ich Flügel, wenn zu fliegen ich nicht weiß?"
Fare thee well
Farewell
Fare thee well
Komm und küss mich nochmal unter'm Sternenzelt
Lebe wohl und adieu
Fare thee well
Und ich tanz mit dir, bis in eine ferne Welt
Lebe wohl und adieu
Fare thee well
Ich erinnere mich an Loris traurige Augen und es scheint mir als würde er mir immer noch diese Frage stelle. "Wozu hab ich Flügel, wenn zu fliegen ich nicht weiß?" Loris, warum wurdest du uns geschenkt und konntest doch nicht bei uns bleiben? Warum konnte ich nichts für dich tun, außer dich gehen zu lassen, dich in deinem Gehen zu begleiten. Loris, du fehlst so sehr.
Lebe wohl und Adieu, Loris, wir werden uns wiedersehen, in einer besseren Welt.
Das Farewell aus dem Lied habe ich mir auf den Arm tätowieren lassen, es hilft mir oft, wenn es mir nicht gut geht. Das F ist ein Kreuz, es steht zum einen für Loris Tod, aber auch für die Hoffnung, die ich durch Jesus habe. Das R ist ein Herz, es steht für die Liebe zu Loris, aber auch für die unendliche Trauer, die ich in meinem Herz spüre. Die beiden LL stehen für seinen Namen, Loris Lillebror, und das Wort Farewell steht dafür, dass wir uns wiedersehen werden.