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Endlich auf Station 13. Es ist wie ein kleines Wunder hier, wenn ich die Türe zu mache, dann ist es still. Auf der Intensivstation ist es laut, es ist Stress, Hektik, Loris wird aufgeweckt, er kann seinen Rhythmus nicht finden. Nun endlich auf Station 13 hat er ein eigenes Zimmer, wir können ohne Maske vorlesen, Loris kann einem ins Gesicht sehen und ich kann meine Backe an seine Backe drücken. Ich kann nach Herzenslust seinen Bauch küssen.


Aber so schön das alles ist. Wir sind nun in gewisser Weise für Loris selbst verantwortlich. Drück ich auf den Pflegeruf, dann kann es sein, dass erst noch 20 Minuten jemand kommt. Brauche ich wirklich Hilfe, muss ich die Türe aufmachen und laut rufen. Das ist kein Vorwurf. Auf Normalstation ist der Pflegeschlüssel einfach ganz anders. Aber dieses Stück Normalität wollten wir ja. Loris schläft jetzt länger und ist kürzer wach, es scheint so, als ob er sich von dem Stress der Intensivstation erholt.

In unserem Einzelzimmer Auf Station 13, endlich etwas Ruhe und Frieden finden. 

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Doch leider hat Loris durch die Beatmung auch viel Bauchweh, weil Luft in seinen Bauch kommt. Und auch so habe ich oft das Gefühl, dass unser Loris leidet. Die ganzen Schläuche ziehen an ihm, ich kann Loris nicht herumtragen, wie man das so macht, wenn es einem Kind nicht gut geht. Es ist kaum zu ertragen, sein eigenes Kind vor sich zu haben und nichts tun zu können. Loris Schreien ist eher ein Wimmern, wie er sich windet, aber ich kann nur singen und ihn streicheln und versuchen, Loris zu zeigen, dass ich da bin.

So saßen wir beide Stundelang da. Aber egal wie sich Loris bewegt hat, er hat immer versucht mich anzuschauen. Ich habe immer gespürt, Loris weiß, dass ich da bin und es tut ihm gut. 

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Am 8.12. bekommt Loris viele neue mobile Geräte mit Akku, die er mit nach Schömberg nehmen soll. Beim Einstecken der Geräte löst sich das LAN Kabel von der Überwachung, so dass Loris nicht mehr im Stationszimmer angezeigt wird. Der ganze Tag war für mich total anstrengend, viele Einweisungen, Loris hat fast den ganzen Bauchweh trotz Wärmekissen, Bauchmassage oder etwas Schmerzmittel.
Dann gegen 18.00 Uhr geht es Loris endlich besser, er wird ruhig und schläft ein. Ich schaffe es nicht mehr Loris aus dem Bett auf meinen Arm zu nehmen und mich auf den Stuhl zu setzen, bin zu müde, zu erschlagen von diesem Tag. Also lege ich meinen Kopf an seinen Bauch, lege seine Hand an mein Ohr, dass er mich fühlen kann und lege meine Hand auf seinen Kopf und so schlafe auch ich ein - nicht wissend, dass Loris von der Station nicht überwacht wird.
Plötzlich schrecke ich auf, es ist dunkel im Zimmer. Ein Blick auf den Monitor zeigt keine Atmung, keine Herzfrequenz. Schnell mache ich seinen Body auf und entferne die Beatmungsbrille, um ihm Luft zu spenden. In diesem Moment kommt die Pflegerin rein. Ich beginne mit zwei mal Beatmen und zähle bei der Wiederbelebung. Die Pflegerin schaltet schnell, ruft Hilfe, die Ärztin kommt. Die Pfleger übernehmen die Beatmung mit einem Beutel. Das Reanimationsteam von der Intensivstation wird gerufen. Ich werde aus dem Zimmer geschickt und gehe nach draußen. Wie soll ich das alles ertragen? Ich bekomme ganz schlecht Luft, breite meine Arme weit nach oben und atme tief ein. Ich rufe Judith an und sie kommt sofort. Schnell wird uns klar, dass dieser Anfall mehr bedeutet als ein Rückschritt, mehr als nur weitere Schmerzen für Loris, mehr als all das. Es bedeutet, Loris kann nicht geholfen werden. Es gibt weder ein Medikament noch eine Therapie noch irgendeinen medizinischen Apparat, der diese Anfälle verhindern kann. Es heißt, wir gehen nicht nach Schömberg. Sein Problem im Gehirn, der ja im EEG und MRT nicht sichtbar ist, ist irreversibel. Egal, was versucht wurde, Loris hat diese Abfälle und nichts kann ihm helfen.

Oft konnte ich auch nicht mehr, bin raus, eine Runde laufen oder duschen, aufs Klo, dann musste Loris kurz in sein Bett. Loris hat so tapfer gekämpft musste aber auch so viel leiden. 

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Uns war immer klar, dass es ein Risiko ist, mit Loris von Intensiv zu gehen und uns war immer klar, dass so eine Situation eintreten kann. Uns war aber auch klar, dass wir ein Leben auf der Intensivstation nicht mehr länger wollen. Wir wollten Loris eine Chance geben. Wir hatten immer die Hoffnung, dass er weiter kommt, irgendwann an einem Punkt ist, wo er leben kann, weil er gewachsen ist und größer und stärker ist. Nun sind wir wieder auf der Intensivstation. Vor uns liegt Loris, vollständig verkabelt, intubiert und sediert, fast wie vor acht Wochen. Wir stehen wieder beide am Bett, halten uns fest, aber diesmal verstehen wir sehr wohl, was es bedeutet. Loris ist durch Tubus und Sedierung ganz still, rührt sich nicht, zuckt nur immer wieder. An diesem Abend fahren wir beide nach Hause, es ist schon spät und Judith und ich müssen reden und uns festhalten, beieinander sein.
Am nächsten Tag dann das Gespräch mit den Ärzten. Ihnen und uns ist klar: Loris hat nicht die Chance auf ein lebenswertes Leben. Es ist kaum nachzuvollziehen, wie Eltern zu so einer Entscheidung kommen können. Aber wenn du dein Kind über so lange Zeit begleitest, diese Hilflosigkeit erlebst, siehst, wie dein eigenes Kind so leidet, jeder Atemzug eine Anstrengung ist und es auf lange Sicht keine Hilfe gibt, wie Loris reanimiert wird, wie sein Puls auf 190 ist, wegen der Anfälle zuckt er und du kannst dein Kind nicht mal herumtragen. Dann fühlt man anders, dann ist der größte Wunsch, dass dieses Kind Frieden finden darf, die Qualen sollen endlich aufhören. Wenn man sieht, wie sein Kind Panik bekommt, wenn der Tubus entfernt wird und dann versucht, wieder selbst zu atmen, ich hätte das für Loris ein Leben lang ausgehalten. Aber Loris? Ich kann das gut nachvollziehen. Ich hatte mit 17 als Beifahrer einen schweren Verkehrsunfall und lag im künstlichen Koma und ich kann mich an das Aufwachen und die Zeit danach noch sehr gut erinnern. Ich kann die Schmerzen nachvollziehen, eine Lungenseite wurde von einer Rippe durchbohrt. Ich lag damals auf der Autobahn und konnte irgendwann nicht mehr atmen. Loris, ich kann verstehen, was du fühlst, aber ich kann dir nicht helfen.
So haben wir uns entschieden, alles für Loris zu tun, ihn aber nicht mehr zu reanimieren, wenn er wieder einen Herzstillstand hat. Weder ich noch die Ärzte. Das ist keine Entscheidung, die schnell getroffen wird, aber die schon länger in uns gereift ist, die wir oft besprochen haben. Wir wollen Loris gehen lassen, wenn er es will. Loris Geschwister dürfen ihn nochmal besuchen kommen.
Am 10.12., dem Tag nach unserer Entscheidung, bin ich dann wieder bei Loris. Gegen 10 Uhr hat er wieder einen Anfall, doch er kämpft mit der Herzfrequenz, atmet und nach 10 Minuten ist er von selbst wieder stabil. Doch wenn ich Loris anschaue, dann sehe ich in seinen Augen, er kann nicht mehr. Ich sauge seinen Speichel ab, wickel Loris, singe ihm vor und wir schaffen es noch, die letze Seite von unserem Buch zu lesen. Dann gegen 17.30 spüre ich, wie Loris unruhig wird. Ich sage Loris immer wieder, es ist ok, er darf nach Hause gehen, er kann los lassen, muss sich nicht länger kämpfen und sich quälen. Es gibt einen Ort, an den er gehen kann, wo es besser ist. Ich habe Loris erzählt, dass Jesus gesagt hat, “Lasst die Kinder zu mir kommen”. Jesus hat schon immer ein besonderes Herz für die Schwachen gehabt, die verletzt sind, die sich quälen. Ich habe Loris gesagt, Jesus wartet mit offenen Armen auf dich, er nimmt dich auf seinen Schoß und dort hast du Frieden, dort musst du nicht mehr leiden, dort geht es dir gut.
Dann wird Loris ruhiger, ganz ruhig. Ich mache seinen Strampler auf lege meine Hand auf seinen Rücken, lege seinen Kopf auf meine Brust, mein Kinn auf seinen Kopf und beginne zu singen. Ich sitze im Liegestuhl und erzähle Loris noch mal die schönen Dinge. Er durfte baden, lag einmal daheim im Kinderwagen, wir durften den Schnee noch sehen und die vielen Stunden auf meinem Arm. Dann singe ich wieder bis ich seinen Herzschlag nicht mehr spüre. Ich rufe Judith an, sie kommt. Dann bitte ich die Ärztin raus zu gehen und so liege ich noch lange da mit meinem Loris auf dem Arm. Ich spüre, wie ruhig und still er ist, endlich keine Schmerzen mehr, Loris hat Frieden und ist nun frei.
Langsam mache ich alle Schläuche und Kabel von Loris ab, ziehe die Magen- und Darmsonde, so dass Loris frei von alle dem ist, was ihn die letzten Wochen so geplagt hat. Nun stehe ich auf und lege Loris ganz sanft ins Bett. Zusammen mit Judith waschen wir Loris, machen alle Pflasterreste weg. Er bekommt eine frische Windel, wir ziehen ihm einen frischen Body und einen weichen Anzug an. Dann reden wir lange und nehmen Abschied.
Es ist kaum zu ertragen, kaum auszuhalten, meinen Loris zu verlieren. Aber es gibt mir Kraft zu wissen, dass Loris nicht alleine war, wir sind diesen Weg zusammen gegangen. Loris war bis zu seinem letzten Herzschlag nicht alleine. Er hat meine Stimme gehört, meine Nähe gespürt und so lege ich Loris in Jesu Arme. Und es gibt mir auch Kraft, dass Loris nun nicht mehr um jeden Atemzug kämpfen muss, dass Loris nicht mehr leiden muss, dass er nun nach Hause gegangen ist.

So habe ich Loris oft gesehen, sein Blick in die Ferne, vor allem nach Anfällen. Dann habe ich mir vorgestellt, wie er einen Blick in den Himmel macht, sich an einen besseren Ort träumt und wir beide es schaffen los zu lassen. 

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Die nächsten Tage und Wochen werden nicht einfach. Wir sind so froh, dass wir uns als Familie haben, zusammen die nächten Tage trauern dürfen. Loris wollen wir in der kommenden Woche auf dem Waldfriedhof in Altensteig beerdigen. Und weil das alles sowieso schwer zu ertragen ist, wollen wir das im engsten Familienkreis machen.

 

by grace

By grace alone somehow I standWhere even angels fear to treadInvited by redeeming loveBefore the throne of God aboveHe pulls me close with nail-scarred handsInto His everlasting arms

Ronnie

schwäbischer tüftler und bastler, kraftsportler, 41 Jahre, 1 Frau, 5 Kinder und 1003 Ideen. 

ronnie berzins at mee